Schlaf-Prokrastination: Schlafaufschub, ein Übel unserer Zeit?

Was ist das Phänomen der Schlaf-Prokrastination, wieso schieben viele Menschen das Zubettgehen auf?
Schlaf-Prokrastination

Was ist Schlaf-Prokrastination, warum passiert sie und wen betrifft sie? Gibt es Möglichkeiten, dieses Verhalten zu modifizieren, um Schlafentzug zu vermeiden? Im Nachfolgenden gehen wir diesen Fragen nach und entschlüsseln, wie Sie zu dem Schlaf kommen, den Sie brauchen.

Es ist spät in der Nacht und Ihr Tagespensum – Aufgaben im Job, Hausaufgaben für den Kurs, Kinder im Bett, Hausarbeit – ist erledigt. Sie werfen einen Blick auf die Uhr: Es ist bereits nach Mitternacht. Sie sind bettreif und könnten vor Müdigkeit fast ohnmächtig werden.

Doch statt die Augen zu schliessen und einzuschlafen, passiert etwas anderes: Sie fangen an, ein Buch zu lesen oder eine Folge Ihrer Lieblingsserie zu sehen.

Ehe Sie sich versehen, sind aus einer weiteren Seite fünf weitere Kapitel geworden oder Sie haben eine ganze Staffel der Serie geschaut.

Zu diesem Zeitpunkt ist es jedoch bereits 3.00 Uhr morgens und Sie wissen, dass Sie um 6.00 Uhr aufstehen müssen. Sie sind sehr müde und wissen, dass Sie unter Schlafentzug leiden werden. Warum konnten Sie nicht anders?

Was ist Schlaf-Prokrastination und warum passiert sie?

Das Konzept der Schlaf-Prokrastination wurde erstmals in einer Studie erwähnt, die 2014 im Magazin „Frontiers in Psychology“ erschien.

Schlaf-Prokrastination wurde beschrieben als den Akt, „später ins Bett zu gehen als beabsichtigt, ohne dass äussere Umstände dafür verantwortlich sind“ – also die Entscheidung, die Schlafenszeit zu verzögern, ohne einen praktischen Grund für diese Verzögerung.

Verschwimmende Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben

Schlaf-Prokrastination ist immer noch ein neues Konzept, so gibt es immer noch Debatten über die Psychologie dahinter. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zwischen erhöhtem Stress am Tag.

Die Studienautoren fanden heraus, dass je mehr jemand während des Tages „Wünschen widerstehen“ musste, desto wahrscheinlicher sei es, dass er ein Schlaf-Prokrastinator ist.

Das heisst, je weniger angenehme Dinge jemand während des Tages tun konnte, desto wahrscheinlicher war es, dass er versuchen würde, diese Zeit in der Nacht zurückzugewinnen und sich mit den angenehmeren Aktivitäten zu beschäftigen, die er während des Tages nicht tun konnte.

Ich-Zeit

Eine der Hauptursachen für die Schlaf-Prokrastination liege darin, dass sich unsere gegenwärtige Arbeitskultur mit unseren persönlichen und freizeitlichen Erwartungen in unserem Feierabend überschneidet.

Es läuft auf den Versuch hinaus, die dringend benötigte „Ich-Zeit“ zurückzugewinnen. Der Wunsch, ein gewisses Mass an persönlicher Freiheit zu gewinnen, treibt den Wunsch an, über eine Zeit hinaus wach zu bleiben, die ein gesundes Mass an Schlaf bietet.

Faktoren, die zur Schlaf-Prokrastination beitragen, sind:

  • die Arbeitszeiten, die oft auf 12 Stunden und mehr erhöht sind
  • die Erwartungen am Arbeitsplatz, ausserhalb der Arbeitszeit verfügbar zu sein
  • die zu leistenden Überstunden

Moderne Arbeitsmuster und Technologien lassen die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmen. Dies kann zu dem Gefühl führen, dass man sein Leben am Arbeitsplatz führt. Der Druck der Kollegen, etwas zu erreichen, sich selbst zu verbessern, wertvolle Hobbys zu haben und sich wohl zu fühlen, kann zu einem Verhalten führen, das sich in den Schlafplan frisst.

Die COVID-19-Pandemie und die darauf folgenden lokalen und nationalen Restriktionen haben die Situation noch verschlimmert. Die Grenzen zwischen Zuhause und Büro haben sich noch mehr vermischt. .Eltern und Betreuern wurde der Zugang zu Kindertagesstätten, Schulen und ihren Unterstützungsnetzwerken versperrt und Studenten wurden dazu gezwungen, von zu Hause aus zu lernen.

Wer schiebt den Schlaf schon gerne auf?

Jeder kann den Schlaf aufschieben, aber manche Menschen neigen eher dazu, das Zubettgehen aufzuschieben als andere.

Laut der genannten Studie scheinen Frauen und Studenten am ehesten dazu zu neigen, das Schlafengehen aufzuschieben.

Zu diesem Schluss kommen auch die Autoren einer 2019 in Polen durchgeführten Studie. Die Studie zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit einer schweren Schlaf-Prokrastination bei Frauen mehr als doppelt so hoch ist wie bei Männern.

Ausserdem schreiben sie, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern beim Aufschieben des Schlafes bereits bei Schulkindern auftreten.

Obwohl diese Studie nicht erklärt, warum Frauen eher zu spät ins Bett gehen, ist es möglich, einige Rückschlüsse auf der Grundlage anderer verfügbarer Informationen zu ziehen: Eine weitere Studie stellte fest, dass Frauen häufiger als Männer berichten, dass sie erheblichen Stress erleben. Die Daten zeigten, dass Frauen häufiger als Männer über körperliche und emotionale Stresssymptome berichten, wie:

  • Kopfschmerzen
  • das Gefühl, gleich weinen zu müssen
  • Magenverstimmungen

Dies mag nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass Frauen nachweislich unter Zeitmangel leiden – die Menge an unbezahlter Arbeit, die sie leisten, oft als Hauptbetreuer von Kindern und älteren Familienmitgliedern.

Wenn es um das Aufschieben der Schlafenszeit geht wurde auch festegestellt, dass es einen Altersunterschied zu geben scheint, wobei die jüngere Generation dieses Verhalten eher an den Tag legt. Dieses Verhalten trete am häufigsten bei Jungen mit hohem Druck und ehrgeizigen Karrierezielen auf. Schlaf-Prokrastination sei in gewisser Weise eine Rebellion gegen die Organisationskulturen, die sie zu navigieren versuchen. Sie sind sich oft bewusst, wie entscheidend Schlaf für Gesundheit und Leistung ist.

Die Auswirkungen von Schlaf-Prokrastination auf die Gesundheit

Ein Mangel an ausreichendem, qualitativ hochwertigem und ununterbrochenem Schlaf ist entscheidend für die Erhaltung der körperlichen und geistigen Gesundheit.

Qualität und Quantität von Schlaf wird nicht nur mit unserer Fähigkeit in Verbindung gebracht, sich auf die Arbeit zu konzentrieren und produktiv zu sein, sondern auch mit Stimmungsregulierung, Gewichtszunahme, kardiovaskulärer Gesundheit oder Entzündungen.

Gibt es positive Auswirkungen von Schlafaufschub?

Als einzig Positives könnte bei der Schlaf-Prokrastination angesehen werden, dass es einen Anschein gibt, dass man mehr Kontrolle über sein Leben hat. Dies kann dazu verleiten, dieses Verhalten fortzusetzen, auch wenn die Risiken die Belohnungen überwiegen. Einen positiven gesundheitlichen Effekt gibt es nicht, wenn man die Qualität und Dauer des Schlafs reduziert. Beständiger und qualitativ guter Schlaf ist die Grundlage für eine gesunde körperliche und geistige Gesundheit.

Tipps für eine gesunde Schlafhygiene und wie Sie die Schlaf-Prokrastination beenden können

  • Mit dem Bewusstsein für die Wichtigkeit des Schlafes, das oft bei denjenigen vorhanden wäre, die die Schlafenszeit aufschieben, liegen die Lösungen oft darin, Grenzen um Arbeitsmuster zu setzen, Flexibilität bei der Arbeit in Betracht zu ziehen und eine psychologische Trennung zwischen Arbeits- und Wohnumgebung zu schaffen.
  • Regelmässig Pausen einlegen, um uns von Aufgaben zu lösen, verbessert unsere Fähigkeit abzuschalten, wenn wir mit der Arbeit fertig sind, was es einfacher macht, zu einer angemessenen Zeit einzuschlafen.
  • Es ist wichtig, eine digitale Sperrstunde zu haben, eine Zeit, zu der wir unsere digitalen Geräte bewusst beiseite legen. Die Bildschirmzeit – insbesondere vor dem Schlafengehen, auch der Fernseher – wird mit weniger und schlechterem Schlaf in Verbindung gebracht.
  • Je dunkler die Schlafumgebung ist, desto effizienter produzieren wir das Schlafhormon Melatonin. Schaffen Sie sich lichtundurchlässe Vorhänge an oder zumindest eine Augenmaske.
  • Sorgen Sie für eine kühle und luftige Schlafumgebung.
  • Nehmen Sie eine heisse Dusche oder ein Bad, um den Stress des Tages hinter sich zu lassen.
  • Schreiben Sie Tagebuch: Expressives Schreiben – das Aufschreiben von Gedanken, Gefühlen und Erfahrungen, die während des Tages auffielen – können sowohl mentale als auch körperliche Symptome von Angst effektiv reduzieren.
  • Effektiv bei der Bewältigung von Schlafmangel ist Bewegung. Gehen Sie regelmässig spazieren, gehen Sie nach draussen.
  • Sorgen Sie für regelmässige Aufwach- und Schlafenszeiten.
  • Essen Sie Nüsse, Samen und Hülsenfrüchte. Diese enthalten die Aminosäure Tryptophan, die dem Körper bei der Produktion des Schlafhormons Melatonin hilft.
  • Nehmen Sie Vitamin-D- und Magnesiumpräparate ein, diese können den Schlaf fördern.
  • Bleiben Sie hydriert, trinken Sie jeden Tag 2-3 Liter Wasser.
  • Trinken Sie koffeinhaltige Getränke nur am Morgen.
  • Sollte der Schlaf trotz aller Bemühungen ausbleiben ist es wichtig, es zu akzeptieren und nicht dagegen anzukämpfen. Erkennen Sie an, dass es nicht ewig dauern wird, und versuchen Sie, sich nicht darüber zu stressen.

Letztendlich kann die Antwort für diejenigen, die Schwierigkeiten haben einzuschlafen, weil sie das Gefühl haben, dass am Tag nicht genug Zeit war, um sich sowohl mit Hausarbeiten als auch mit Freizeitaktivitäten zu beschäftigen, darin bestehen, dass sie lernen, ihre Sorgen so weit wie möglich zu unterteilen.

Der Mensch braucht Zeit, um sich mental zu lösen und sich von der Arbeit zu distanzieren und etwas Sinnvolles zu tun. Finden Sie einen gesunden Weg, sich diesen Freiraum zu schaffen und dabei freundlich zu sich selbst zu sein. Dies ist der Schlüssel, um eine Harmonie zu finden, die Sie vor Burnout, chronischem Stress und reduzierter Gesundheit bewahren kann.

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